Mein Kind, das Echo – und plötzlich ruft jemand „Scheisse!“ im Supermarkt

von | Juni 22, 2025 | Nachwuchs | 0 Kommentare

Ich weiß noch genau, wie ich das erste Mal richtig erschrocken bin. Wir standen im Supermarkt, irgendwo zwischen den Müesli-Packungen und der Gemüseabteilung, als mein Sohn laut und deutlich, mit stolzem Ton, rief: „Scheisse, Papa!“ Und nicht etwa leise oder schüchtern – nein, mit einer Inbrunst, als hätte er das Wort gerade neu erfunden.

Die Leute drehten sich um. Eine ältere Dame schaute irritiert, ein anderer Vater grinste wissend, und ich – ich wusste für einen kurzen Moment nicht, ob ich lachen oder mich im Boden vergraben sollte.

Kinder sind Schwämme. Sie saugen auf, was wir sagen. Sie filtern nicht. Sie bewerten nicht. Und wenn man denkt, man hätte einen harmlosen Ausruf im Eifer des Gefechts fallen lassen, dann kann man sicher sein: Das war der eine Moment, den das Kind sich gemerkt hat. Und der eine Satz, den es ab sofort mit voller Hingabe reproduzieren wird. Immer. Überall.

In unserem Fall kam der Ursprung wohl aus einer eher harmlosen Alltagslage. Ich habe mir den kleinen Zeh angeschlagen, bin mit dem Lego-Dachboden kollidiert oder habe mal wieder den Kaffee über den Wickeltisch verschüttet – und dabei eben das gesagt, was ein erwachsener Mensch manchmal sagt, wenn’s wehtut oder nervt. Und zack – gespeichert. Als sei sein kindliches Gehirn ein Mikrofon mit Autoloop.

Es ist faszinierend, wie selektiv dieses Kinder-Gedächtnis funktioniert. Ich habe ihm hundertmal „bitte“ und „danke“ beigebracht. Ich versuche täglich, ruhig und bedacht zu sprechen, erkläre Dinge mit Geduld. Aber was bleibt hängen? Genau. Das eine Wort, das nicht ins Kinderliederbuch passt.

Und ja – das ist peinlich. Aber es ist auch irgendwie… menschlich.

Ich habe lange überlegt, wie ich damit umgehen soll. Strafen? Ignorieren? Großes Drama machen? Am Ende habe ich gemerkt: Das Wichtigste ist, nicht aus einer Mücke einen Elefanten zu machen. Denn Aufmerksamkeit ist wie Dünger. Und bei einem Zweijährigen ist jede Reaktion eine Einladung zum Weitermachen.

Also sage ich inzwischen: „Oh, das ist ein Wort, das Erwachsene manchmal sagen, wenn sie sich wehtun oder ärgern. Aber wir benutzen lieber andere Wörter.“ Und dann schlage ich Alternativen vor. „Mist.“ Oder „Oh Mann.“ Oder mein persönlicher Favorit: „Schnurzelpurz.“ Ja, klingt albern – aber Kinder lieben solche Blödsinnswörter. Und wenn er dann im Auto statt des alten Klassikers „Scheisse“ ein fröhliches „Schnurzelpurz, Papa!“ ruft, ist das schon ein kleiner pädagogischer Sieg.

Was mir diese Phase zeigt: Kinder hören viel mehr, als wir denken. Sie hören nicht nur, was wir sagen – sondern wie wir es sagen. Sie merken, wann wir gestresst sind, wann wir fluchen, wann wir nicht mehr weiterwissen. Und sie übernehmen das – nicht weil sie es verstehen, sondern weil es Ausdruck ist. Emotion. Reaktion. Und die wollen sie auch zeigen.

In gewisser Weise ist das Fluchenlernen ein Entwicklungsschritt. Wie das Laufen, das Sprechen, das Trotzphasen-Training. Ein Kind, das wütend „Scheisse“ ruft, sagt eigentlich: „Ich fühle etwas. Ich will das rauslassen. Und ich habe gesehen, wie du das machst.“

Es ist also nicht nur eine Wiederholung. Es ist ein Spiegel. Und manchmal ist dieser Spiegel sehr ehrlich.

Ich ertappe mich inzwischen oft dabei, wie ich meine Sprache überdenke. Nicht aus Zwang – sondern aus Verantwortung. Denn ich merke: Mein Sohn ahmt nicht nur nach, er lernt von mir, wie man mit Emotionen umgeht. Und auch wenn ich ihm nicht jede Gefühlslage ersparen kann, kann ich ihm zeigen, dass man Wut, Frust und Schmerz auch ohne Beschimpfungen ausdrücken kann.

Nicht perfekt. Nicht immer. Aber bewusst.

Natürlich passieren weiterhin diese kleinen öffentlichen Katastrophen. Ein Fluch beim Autofahren, der prompt aus dem Kindermund zurückhallt. Oder ein Ausruf im Park, der zufällig genau in dem Moment kommt, als gerade eine andere Familie vorbeigeht. Dann atme ich durch, lächle, erkläre – und denke: Er wird es lernen. So wie ich auch noch lerne.

Denn am Ende geht es nicht darum, dass unsere Kinder nie ein Schimpfwort sagen. Sondern darum, dass sie verstehen, was Sprache bewirken kann. Dass Worte Kraft haben – zum Trösten, zum Lachen, aber eben auch zum Ärgern. Und dass man mit dieser Kraft verantwortungsvoll umgeht.

Bis dahin lachen wir manchmal über einen zu lauten „Blödbommel“ im Einkaufswagen. Und feiern jeden Moment, in dem das Kind sich aufregt, ohne zu fluchen. Es sind kleine Siege. Aber sie zählen.

Und wenn ich irgendwann höre, wie mein Sohn wütend „Mist, Papa!“ sagt und danach tief durchatmet – dann weiß ich: Wir sind auf einem guten Weg.

0 Kommentare

Einen Kommentar abschicken

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert