An einem dieser ganz normalen Morgen stand mein Sohn plötzlich im Garten, barfuß und ganz vertieft in eine kleine Schnecke. Er beobachtete das Tier, als wäre es ein Ufo, etwas höchst Faszinierendes. Und in dem Moment wurde mir klar: Ich habe diese Verzauberung verlernt. Später, als ich mir seinen Kopf voller Staunen ansah, dachte ich: Wenn er so durchs Leben geht, dann könnten wir alle wieder etwas lernen.
Geduld zum Beispiel. Früher bedeutete Geduld für mich einfach nur Warten – warten auf das nächste Meeting, den Feierabend oder Urlaub. Aber wenn ich sehe, wie mein Sohn in seinem Tempo gräbt, lernt und wieder loslässt, dann verstehe ich: Geduld ist nicht passiv, sondern anwesend sein – ganz bewusst. Manchmal stehen wir einfach kurz am Sandkasten und erleben plötzlich viel mehr, als wir jemals geplant hätten.
Und dieses Staunen, diese ungebremste Neugier, die er mitbringt – das ist ansteckend. Ein Pfützenhüpfer, ein Käfer am Wegesrand oder ein Grasbüschel reicht ihm, um die Welt in einem neuen Licht zu sehen. Und dabei wird mir bewusst: Ich habe aufgehört, bewusst zu sehen. Ich gehe am Leben vorbei, während er mitten drin ist. Jetzt versuche ich, bei solchen Momenten einfach dazustehen, ihn zu beobachten, mit ihm zu bestaunen – und spüre, wie sich meine eigene Freude darüber vertieft.
Er hat mich auch gelehrt, dass Gefühle keine Baustellen stören, sondern Türen öffnen. Wenn er lacht, tobt oder weint, dann zeigt er mir, dass alles dazugehört. Das hat mir den Mut gegeben, öfter zu sagen: „Ja, heute bin ich etwas traurig.“ Damit er weiß: Emotionen gehören zu uns – und es ist okay, sie zu teilen. Mehrmals habe ich mir diese Momente mit ihm bewusst gemacht: „Was hat dir heute Freude gebracht?“, frage ich. Und: „Was war schwer?“ Diese Stunden des echten Austauschs sind so viel mehr wert als abgeschlossene To‑Do-Listen.
Und wenn ich dann an einem Wochenende inmitten von Bastelpapier, Farben oder Legosteinen stehe und mein Sohn mich breit angrinst, weil ich mit ihm im Chaos sitze, dann wird klar: Unperfektion bringt Nähe. Das Kind, nicht der sauber gewischte Boden, wird mir in Erinnerung bleiben. Es wird unvergesslich, weil wir echt waren – nicht weil alles tipptopp war.
Ich sehe in ihm ein Spiegelbild – meiner Ungeduld, meiner kleinen Sprüche oder meiner Sorge wegen Kleinigkeiten. Und ich weiß, es ist mein Vorbild, das mich herausfordert, anders zu sein. Weil ich ihm zeige, wie man mit den eigenen Gefühlen umgehen kann, und weil er mir so deutlich reflektiert, was unbewusst passiert.
Ich merke dabei auch, wie sich mein Inneres verändert. Wissenschaftler sagen, bei Männern passt sich das Gehirn ans Vatersein an – hormonell, neurologisch. Ich merke das. Wenn ich höre, wie er ruft („Papa, guck mal!“), dann macht das etwas mit mir. Ich richte mich auf. Ich reagiere anders. Aber noch stärker: Ich habe an diesen Momenten gelernt, langsamer zu lieben, leiser zu leben und offener zu sein.
Am Ende des Tages nehme ich mehr mit als mein Sohn. Ich nehme ein Gefühl von Ehrfurcht. Ich nehme die Erinnerung an einen Staunepapa. Und das Schönste daran: Ich wurde durch ihn ein Stück weit besser – nicht als Vater, sondern als Mensch.