Es beginnt eigentlich schon am späten Nachmittag. Die Sonne steht tiefer, das Licht wird weicher. Mein Sohn sitzt irgendwo im Garten, bastelt mit Stöcken oder sortiert Steine. Ich beobachte ihn, wie er versunken in seinem Spiel die Welt vergisst. Und ich spüre, wie in mir langsam etwas anderes erwacht: dieser leichte Druck, dieses unsichtbare Gewicht, das nur sonntagabends kommt. Früher war das nicht so. Früher war der Sonntagabend bestenfalls langweilig, schlimmstenfalls ein Kater. Heute ist er etwas anderes geworden. Etwas Wehmütiges. Etwas Schweres. Vielleicht sogar ein bisschen traurig.

Denn ich weiß, dass diese Stunden bald vorbei sind. Dass wir gleich gemeinsam essen, vielleicht noch eine Geschichte lesen, er sich dann in sein Bett kuschelt und sagt: „Gute Nacht, Papa.“ Und ich werde draußen auf der Couch sitzen, auf das leere Kinderzimmer blicken und wissen: Morgen ist wieder Montag. Arbeit. Struktur. Tempo. Und vor allem: weniger Zeit mit ihm. Nicht keine Zeit. Aber nicht diese ungebrochene, freie, wache Zeit wie am Wochenende. Und das tut weh. Es tut mir weh, obwohl ich es nicht will. Ich will mich freuen auf die neue Woche, will bereit sein für alles, was kommt. Aber gleichzeitig sitze ich da und will noch ein bisschen bleiben. Will noch ein bisschen mehr von dieser Nähe, von diesem Lachen, von diesen kleinen Händen, die sich beim Frühstück an mein Bein klammern.

Der Sonntagabend bringt mich ins Schwanken. Er ist ein Abschied, jedes Mal. Ein Abschied von der Freiheit des Wochenendes, von der Selbstverständlichkeit, einfach da zu sein. Und gleichzeitig ein Aufbruch – aber einer, der sich oft nicht wie einer anfühlt. Manchmal habe ich das Gefühl, ich verabschiede mich nicht nur von einem Tag, sondern von einer Version von mir selbst, die in der Woche keinen Platz hat. Die ruhige, konzentrierte, langsame Version. Die, die Zeit hat, Fragen zu beantworten, Spiele zu spielen, Umwege zu gehen. Die Version, die nicht auf die Uhr schaut, wenn ein Lego-Turm gebaut wird oder das Kind einfach mal eine halbe Stunde die Wand anmalt.

Ich sitze manchmal abends da und frage mich: Habe ich es genutzt, das Wochenende? Habe ich genug zugehört, genug gelacht, genug getragen? Habe ich präsent genug gelebt? Oder war ich zu oft mit dem Kopf woanders, beim nächsten Einkauf, bei der Steuererklärung, beim Projekt, das Montag wieder ruft? Es ist kein Selbstvorwurf, nicht direkt. Aber ein Gefühl von Verpassen, obwohl man eigentlich da war. Und das zieht sich in die Nacht hinein.

Früher war das anders. Da war Sonntagabend das Zeichen für: Gleich wieder Alltag. Gleich wieder Routine. Und irgendwie auch gut so. Heute ist es das Zeichen für: Die Zeit mit meinem Kind, so wie sie heute war, kommt nicht zurück. Morgen ist anders. Und übermorgen auch. Und eines Tages, da wird mein Sohn sich nicht mehr in meinen Arm kuscheln am Sonntagabend, sondern vielleicht mit seinen Freunden unterwegs sein oder in seinem Zimmer Musik hören. Und ich werde zurückdenken an diese Abende, die ich manchmal nicht ganz aushalten konnte – und sie vermissen.

Manchmal rede ich mit meiner Partnerin darüber. Wie sich der Sonntag verändert hat, wie wir beide das spüren. Sie kennt das auch. Diese stille Melancholie. Und trotzdem planen wir immer wieder Neues. Einen Ausflug hier, ein Bastelprojekt da. Wir suchen Momente, die bleiben. Nicht, weil wir die Zeit festhalten wollen. Sondern weil wir wissen, dass sie flüchtig ist. Weil wir spüren, dass diese Jahre mit Kind nicht nur prägend sind für ihn – sondern auch für uns. Und weil sie uns auf eine Weise formen, die wir erst später ganz verstehen werden.

Der Sonntagabend ist mein wöchentlicher Spiegel. Er zeigt mir, was war. Und manchmal zeigt er mir auch, was gefehlt hat. Die Ruhe, die Geduld, das Loslassen. Aber auch die Freude, die Nähe, die Liebe. Und in diesem Wechselspiel zwischen Genug und Zu-wenig liegt etwas, das ich inzwischen schätzen gelernt habe. Es macht mich wachsam. Es macht mich achtsam. Es erinnert mich daran, dass nichts selbstverständlich ist. Weder die Zeit noch die Nähe noch das gemeinsame Lachen.

Manchmal versuche ich, mir am Sonntagabend eine kleine Gewohnheit zu schaffen, die diesen Übergang mildert. Ich trinke einen Tee, schaue mir ein Foto vom Wochenende an. Vielleicht das vom Spielplatz, vom Waldweg, vom Esstisch, der noch voller Krümel ist. Und ich atme. Atme ein, was war. Und aus, was kommt. Und manchmal hilft das. Nicht immer. Aber manchmal.

Denn letztlich ist der Sonntagabend genau das, was Vatersein oft bedeutet: ein Nebeneinander von Freude und Schmerz, von Nähe und Verlust, von Liebe und Loslassen. Und ich glaube, das ist okay. Vielleicht muss es genau so sein. Damit wir nicht abstumpfen. Damit wir erinnern. Damit wir leben – auch an Montagen.