Der erste Waldspaziergang mit eigenem Tempo – Warum 500 Meter ewig dauern dürfen

von | Mai 28, 2025 | Nachwuchs | 0 Kommentare

Ich erinnere mich noch gut an die Zeit, als ich Waldspaziergänge in sportlichem Tempo gemacht habe. Frische Luft tanken, Kopf durchlüften, Strecke machen – vielleicht ein kleiner Podcast auf den Ohren, ein bisschen Gedanken sortieren.
Dann wurde ich Vater. Und der Begriff „Spaziergang“ hat eine völlig neue Bedeutung bekommen.

Seitdem ich mit meinem Sohn unterwegs bin, misst sich ein Waldspaziergang nicht mehr in Kilometern, sondern in Entdeckungen pro Quadratmeter.

Und ganz ehrlich: Ich liebe es.

Der Weg ist das Ziel – wirklich

Früher wäre ich nie auf die Idee gekommen, auf 20 Metern Wegstrecke fünfmal stehen zu bleiben. Heute ist das Standard.
Denn mein Sohn hat gelernt, dass der Wald voll ist von Dingen, die es wert sind, genau betrachtet zu werden.
Ein Käfer, der über den Weg krabbelt.
Ein Stein, der aussieht wie ein Herz.
Ein umgefallener Baum, der perfekt ist, um draufzuklettern.
Ein Zapfen, der mitgenommen werden muss – weil er „so aussieht wie ein Drachen-Schwanz“.

Ich würde lügen, wenn ich sage, dass ich immer die Geduld aufbringe, die dieser Entdeckungstrip verlangt. Aber ich arbeite daran. Denn ich merke: Je mehr ich mich auf sein Tempo einlasse, desto mehr sehe ich auch wieder selbst.

Kinder gehen nicht einfach – sie erleben

Während ich innerlich manchmal denke: Wir sind noch nicht mal aus der Nähe des Parkplatzes raus, geht mein Sohn durch ein episches Abenteuer. Für ihn ist jeder Schritt im Wald eine Mission. Und jeder Fund ein kleiner Schatz.

Ich frage mich manchmal, wann ich verlernt habe, auf diese Weise zu gehen. Nicht von A nach B, sondern mittendrin zu sein. Ohne Ziel. Ohne Eile. Ohne die ständige Frage: „Wie weit noch?“
Denn für ihn gibt es keine „Wegstrecke“ – es gibt nur das Hier und Jetzt.

Und ja – manchmal ist es anstrengend. Wenn wir drei Mal um denselben Baum laufen. Wenn er sich an einem Ameisenhaufen festbeisst und ich nach fünf Minuten immer noch die gleiche Erklärung wiederhole. Aber ich erinnere mich dann daran: Das ist Lernen. Das ist Weltverstehen. Das ist Kindsein.

Der Wald als Entschleunigungslehrer

Kein Ort bringt mich so sehr zurück zu mir wie der Wald. Und kein Mensch schafft es so sehr, mir meinen eigenen Takt zu spiegeln wie mein Sohn.
Wenn ich mit ihm durch den Wald gehe, verlangsamt sich alles.
Nicht weil ich es will, sondern weil ich es muss – und weil es sich gut anfühlt.

Ich kann nicht hetzen, wenn er plötzlich auf allen Vieren durchs Unterholz kriecht.
Ich kann nicht drängeln, wenn er einen besonders langen Stock gefunden hat, den er jetzt als „Feuerwehrleiter“ mit sich führt.
Ich kann nicht „mal schnell“ was erklären, wenn er genau wissen will, warum Baumrinde abblättert, wie ein Pilz wächst und ob der Specht wohl noch da ist.

Und plötzlich, ganz unmerklich, fange ich an, mitzumachen.
Ich knie mich hin. Ich gucke mit. Ich bin wieder Kind – zumindest für einen Moment.

500 Meter in zwei Stunden – und alles richtig gemacht

Es gibt Tage, da schaffen wir kaum den Weg bis zur nächsten Bank. Und ich merke, wie der alte innere Timer in mir aufblitzt. Müssen wir nicht weiter? Ist das nicht zu wenig Bewegung?
Aber dann schaue ich ihn an – wie er barfuss über Waldboden geht, wie er Steine sortiert, wie er sich in den Duft des Mooses legt – und ich denke: Doch. Genau so muss es sein.

Denn was bringt es, wenn wir Strecke machen, aber nichts erleben?

Ich lerne wieder zu staunen

Am meisten beeindruckt mich, wie viel Begeisterung in den kleinsten Dingen steckt.
Ein heruntergefallener Ast ist kein Müll, sondern ein Zauberstab.
Ein Fleck Sonnenlicht wird zur Bühne.
Ein Vogelruf wird zum Rätsel.
Und ich? Ich werde vom Zuschauer wieder zum Mitspieler.

Es ist gar nicht so einfach, die eigene Ungeduld beiseitezuschieben.
Aber wenn ich es schaffe, dann bin ich nicht nur Vater – ich bin wieder ein bisschen mehr Mensch.

Ich habe gelernt:
Ein Spaziergang mit meinem Kind ist kein Fortbewegungsmittel.
Es ist eine Einladung.

Eine Einladung, langsamer zu gehen.
Aufmerksamer zu werden.
Zuzuhören.
Zuzusehen.
Und dabei zu erkennen:
500 Meter können ein ganzes Universum sein.

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