Ich stehe in der Küche. Ein halb aufgegessenes Frühstücksbrot liegt auf dem Tisch, daneben ein umgekippter Saftbecher, und mein Sohn sitzt am Boden und weint, weil er nicht die blaue Tasse, sondern ausgerechnet jene mit dem kaputten Henkel bekommen hat. In meinem Kopf schlägt alles. Ich höre mich denken: „Wie oft hab ich ihm gesagt, dass er die Tasse erst recht nehmen soll?“, „Warum muss es immer die blaue sein?“ – und plötzlich flammt etwas auf in mir, etwas, das ich von mir selbst nicht so gut kenne: Wut.
Es ist dieses brennende Gefühl im Brustkorb, wenn man denkt: Nicht schon wieder. Nicht dieser Konflikt. Ich spüre, wie die Stimme sich hebt, und mir wird bewusst: Ich werde lauter als ganz bewusst sein sollte. Ich weiß, warum ich wütend bin – nicht wirklich wegen der Tasse, sondern weil ich müde bin, unter Strom stehe, Erwartungen habe. Ich will souverän sein, diesen Tag gut angehen – aber in diesem Moment falle ich zurück in ein altes Verhaltensmuster. Ich sehe mich selbst als Kind vor mir: „Reiß dich zusammen!“, „Wirst du nie lernen?!“. Und dann denke ich: Du bist jetzt Vater – das sagst du deinem Sohn nicht.
Ich atme tief durch. Ich erinnere mich, wie ich bei einem Podcast gehört habe: Wenn Eltern wütend werden, dann vor allem, weil ihre eigenen Bedürfnisse nicht erfüllt sind. Weil sie müde sind, überfordert, gestresst vom Job, von unerledigtem Kram. Und da steh ich also, mit meinem unruhigen Morgen, dem kaputten Saft, dem blauen Tassen-Moment, und ich merke: Das ist nicht sein Fehler. Sondern der Montagmorgen, die Situation, die Energie, die nicht stimmte. Trotzdem passiert etwas – und in diesem Augenblick bin ich nicht stolz auf mich.
Die Sekunden scheinen länger, und ich merke, wie mein Puls steigt. Ich schaue ihn an. Er schaut zurück, wahrscheinlich Angst. Ich will nicht, dass er Angst hat. Kein Kind sollte Angst vor seinem Papa haben. Also atme ich noch mal durch, irgendwann reicht’s. Ich sage mit ruhiger Stimme: „Tut mir leid, ich bin gerade laut geworden.“ Nicht perfekt, aber wahr. Er schaut mich an, die Tränen rinnen weiter, aber das Stein in meinem Bauch wird kleiner. Ich setze mich zu ihm, nehme die Wasserflasche, versuche zu erklären: „Manchmal, wenn ich müde bin, wird meine Stimme laut. Das ist doof. Es ist nicht deine Schuld.“ Er hört zu. Vielleicht nicht versteht, aber spürt. Und irgendwann legt er den Kopf auf meine Schulter. Ich winke ab: „Alles gut.“ Und es klingt wahr – in diesem kleinen Moment, in diesem Zusammensein.
Ich weiß, ich bin nicht der einzige Vater, der solche Augenblicke erlebt. Wut gehört zum Menschsein dazu – und als Vater ist sie nur gefährlicher. Denn sie trifft nicht irgendeine Person. Sie trifft ein Kind, das keine Absicht hat, dich zu verletzen. Und trotzdem kommt es ab und zu vor, weil das Leben schwer ist, die Geduld dünn. In diesen Momenten trennt sich für mich wirklich Vatersein vom Papa-Ideal. Ich erinnere mich an den Artikel über Väter, die sagen: „Ich will nicht der werden, vor dem mein Kind Angst hat.“ Und in diesen Minutensituationen wird das klar, wie wichtig es ist, runterzufahren. Und wie schwierig.
In der folgenden halben Stunde denke ich darüber nach – was hätte ich anders machen können? Vielleicht eine Durchatmen-Pause anlegen. Vielleicht eine Glas Wasser trinken, das Handy weglegen, die Tür schließen. Vielleicht den Moment spüren – warum explodiere ich gerade? Ich verknüpfe es mit meiner eigenen Kindheit. Ich erinnere mich, dass ich als Kind oft Angst vor dem lauten Ton meiner Eltern hatte. Ich erinnere mich an die kühle Stimme, die nach einem Wutausbruch kam: „Tut mir leid.“ Und auch, wie das Wort trotzdem kalt blieb, wenn danach nie darüber gesprochen wurde.
Ich beschließe, es heute anders zu machen. Nicht nur reiße ich mich einmal zusammen. Ich sage: „Papa war müde, ist laut geworden, und tut mir leid.“ Ich hole seine Lieblingskuschelcreme und reibe seinen Arm ein, im Vorübergehen. Er schnuppert, sagt: „Papa beruhigt.“ Und ich lächle. Ich fühle mich nicht perfekt, aber ich fühle mich ehrlich. Und ich fühle mich Mensch.
Später an diesem Tag – wir sitzen im Garten, er spielt mit Holzklötzen, ich gieße Blumen – fällt mein Blick auf die umgekippte Tasse von diesem Morgen. Ich nehme sie, stelle sie in die Spüle. Ein kurzer Akt. Keine große Sache. Aber es fühlt sich an wie ein kleiner Schlussstrich. Als würde ich sagen: Morgen ist ein neuer Tag. Ich will wach sein. Wut gehört dazu – aber sie darf mich nicht bestimmen.
Diese Dynamik hat mein Blick auf Papa-Rollen verändert. Das Ideal, dass Väter immer stark und gelassen sein müssen, löst sich auf. Dabei wird eines klar: Meine Wut ist nicht das Problem. Mein Umgang damit ist es. Wenn ich mich verändere, verändert sich der Zugang zu meinem Kind. Und je öfter ich spüre, wie ich wütend werde – und dann innehalte – desto weniger oft passiert es, dass die Wut wirklich laut wird.
Seit diesem Vorfall habe ich mir selbst eine kleine Regel gegeben: Wenn ich merke, dass ich innerlich hochfahre, dann gehe ich, wenn möglich, kurz raus – ins andere Zimmer, in den Garten, auf den Balkon. Ich atme dort einmal tief durch. Ich zähle bis zehn. Ich höre in mich hinein. Was ist der wirkliche Auslöser? Bin ich gestresst? Muss ich Hunger, Müdigkeit, Sorgen klären? Das reicht oft, um die Wut abzufedern. Und wenn er mich fragt, wo ich bin: Ich sage ganz ruhig, was los ist. Das baut Vertrauen. Und sein Blick: kein „Papa ist unantastbar“ – sondern ein „Papa ist auch nur ein Mensch, der sich manchmal kurz sammeln muss.“ Das lässt Nähe zu.
Es ist nicht so, dass ich jeden Tag so jetzt managed. Aber diese Momente, in denen ich bewusst handle, statt impulsiv zu reagieren – die summieren sich. Ich fühle mich nicht nur als besserer Papa, sondern als ehrlicherer Mensch. Und ich merke: Wenn ich mich so reflektiere, wird mein Kind gleichzeitig selbstbewusster und empathischer. Ich bekomme kleine Rückmeldungen: „Papa, bist du müde?“ oder „Papa, kannst du dich setzen?“ – und ich denke: Er erinnert mich an mich, an die Selbstfürsorge, die Papa manchmal vergeigentlich vergisst.
Als ich neulich einem Vaterfreund davon erzählte, sagte er: „Wir müssen lernen, selbst Väter zu behandeln.“ Eine solcherter Tag braucht nicht nur Dankbarkeit, Plastikhelme oder Laufräder. Er braucht Pause. Er braucht Gespräch. Er braucht Rücksicht. Und so ziemt sich Vatersein als tägliche Übung in Selbstfürsorge – für sich selbst, aber letztlich auch für das Kind. Weil niemand mehr verliert, wenn man kurz innehält.
Und diese Tage gibt es immer wieder. Wenn alles gut läuft, bleibt die Wut aus. Aber sie kommt, wenn Termine drücken, Haushalt anfällt, Termine anstehen oder eine Flut nach dem Kinderschrei überschwemmt. Ich bin besser geworden im Stoppen. Nicht perfekt – aber besser. Und jeder Versuch ist ein Gesprächsthema. Ein Ritual. Ein Stück Leben, das wir gemeinsam gestalten. Nicht weil ich ein idealer Vater sein will. Sondern weil ich ein echter Vater sein will.
Mein Sohn wird groß genug sein, um genau zu merken – ob ich mich kontrolliere oder explodiere. Und ich hoffe, wenn er älter ist, sagt er irgendwann: „Mein Papa war nie perfekt. Aber er hat sich immer wieder zusammengerissen. Und eingeblasen.“ Und ich glaube fest daran, dass diese gebremste Wut uns verbindet – mehr als jedes gemeinsame Spiel.