Als Vater eines zweijährigen Sohnes beobachte ich mit Staunen, wie schnell sich kleine Menschen entwickeln, wenn man ihnen den richtigen Raum dafür gibt. Und einer dieser Räume – im wörtlichsten wie im übertragenen Sinne – ist für mich ganz klar: die Spielgruppe. Noch besser: die Waldspielgruppe.
Denn es gibt da diesen Moment. Es ist Montagmorgen, eigentlich noch viel zu früh, wir stehen mit Gummistiefeln am Waldrand, der Rucksack voller Znüni, ein bisschen Nervosität in den Augen (bei mir, nicht bei ihm), und plötzlich läuft mein Sohn los. Nicht zögerlich. Nicht unsicher. Sondern wie jemand, der weiß: Hier bin ich richtig.
Die Spielgruppe, die er besucht, findet draußen statt – bei jedem Wetter. Regen, Nebel, Schnee, Sonnenschein. Es gibt kein Plastikhaus, keine beheizte Garderobe, keine bunten Teppiche mit Tiermotiven. Dafür gibt es Bäume, Äste, Steine, Moos. Es gibt Vögel, Ameisen, Schnecken. Es gibt den Waldboden, der matschig oder trocken sein kann, und es gibt Betreuerinnen, die mit einer Mischung aus Liebe, Ruhe und Naturkompetenz diesen wilden Lernraum begleiten.
Was hier passiert, lässt sich schwer in einem Satz beschreiben. Natürlich spielen die Kinder. Natürlich wird gelacht, gesammelt, gebaut. Aber noch viel mehr geschieht darunter: Sie lernen sich selbst kennen. Und die anderen. Sie üben teilen, warten, beobachten, trösten, streiten, sich entschuldigen. Sie tun all das, was wir als „soziale Kompetenz“ bezeichnen – ganz ohne theoretische Einheiten.
Ich habe lange überlegt, ob mein Sohn schon bereit dafür ist. Ob er zu klein ist. Ob er sich durchsetzen kann. Aber was ich gesehen habe, hat mich eines Besseren belehrt. Kinder sind oft viel weiter, als wir ihnen zutrauen – wenn man sie lässt. Und vor allem: wenn man ihnen einen Rahmen bietet, in dem sie auf natürliche Weise wachsen dürfen. Der Wald ist ein solcher Rahmen.
Es gibt dort keine Glitzer-Stimulation, kein Dauerbespaßungsprogramm. Es gibt Stille und Geräusche. Es gibt das, was man selbst entdeckt. Und genau darin liegt der Zauber. Kinder kommen hier in Beziehung – zur Natur, zu sich, zu anderen.
Mein Sohn redet seit dem ersten Tag mehr über andere Kinder. Wer ihm was gezeigt hat. Mit wem er gemeinsam ein Ast-Haus gebaut hat. Wer die Schnecke zuerst gesehen hat. Es geht nicht mehr nur um Mama, Papa und seine eigene Welt – sondern um „wir“. Und das, finde ich, ist ein riesiger Entwicklungsschritt.
Auch Konflikte gehören dazu. Natürlich. Es wird gestritten, geklaut, diskutiert. Aber das gehört zum sozialen Lernen. Und weil die Erwachsenen hier nicht alles regeln, sondern begleiten, entstehen Situationen, in denen Kinder ihre eigenen Lösungen finden. Sie lernen, dass man nicht immer gewinnt. Dass man Kompromisse schließt. Dass Zuhören wichtig ist. Dass man nicht immer sofort drankommt.
Was ich besonders schätze: Der Wald ist ein Ort, an dem alle Kinder auf Augenhöhe starten. Hier gibt es kein cooles Shirt, keinen Markenrucksack, keine pädagogisch „bessere“ Familie. Hier zählen Neugier, Mitgefühl, Mut, Ausdauer. Und diese Qualitäten entwickeln sich genau dort, wo man sie nicht mit Lernkarten trainiert, sondern wo sie gebraucht werden – im echten Kontakt.
Als Vater ist es manchmal gar nicht so leicht, loszulassen. Ich gebe mein Kind in eine Umgebung, die nicht durchgängig kontrollierbar ist. In der es dreckig wird. In der es auch mal friert. Aber genau das ist die Vorbereitung auf das Leben. Auf das Draußen. Auf das Mit-einander.
Wenn ich ihn nach der Spielgruppe abhole, ist er müde, aber zufrieden. Oft reden wir kaum viel – aber seine Wangen sind rot, seine Hände schmutzig, sein Kopf voller Geschichten. Und ich sehe: Er ist gewachsen. Nicht in Zentimetern, sondern in Selbstvertrauen.
Ich wünsche mir, dass mehr Kinder diese Erfahrung machen dürfen. Dass wir aufhören, Spielzeit als Lückenfüller zu betrachten, und beginnen, sie als das zu erkennen, was sie wirklich ist: der Ursprung jeder Entwicklung. Sozial, emotional, motorisch, kognitiv – alles beginnt im Spiel. Und am stärksten wirkt es, wenn es draußen geschieht, in Freiheit, in Gemeinschaft.
Die Waldspielgruppe ist für uns nicht nur ein Betreuungsangebot. Sie ist ein Geschenk. An unseren Sohn. Und ein bisschen auch an uns Eltern. Denn wir lernen mit – im Loslassen, im Vertrauen, im Staunen darüber, was Kinder alles können, wenn man sie lässt.
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