Es gibt Tage, da fühle ich mich, als würde ich mich selbst verschenken. Nicht aus Gier oder Furcht, sondern aus Liebe. Die Familie, meine Partnerin, mein Sohn – sie sind mir alles. Und ich möchte ihnen alles geben: Zeit, Sicherheit, Zuneigung, materielle Dinge, Zukunft. Also arbeite ich – und arbeite – und arbeite. Und zwischendurch ist da dieses Gefühl: Ohne mich bricht etwas auseinander. Und gleichzeitig: Ich spüre mich weniger. Ich spüre, wie dieser innere Feuerball tagelang lodert – obwohl ich ihn längst habe, er sich selbst vergessen hat.

Ich erinnere mich an eine Woche, in der ein Projekt auf Arbeit über meinem Kopf hing. Termine rückten näher, Kolleginnen fragten nach Zeit, mein Chef forderte Ergebnisse. Parallel: Kitabrevetta, kränkelnder Sohn, Geburtstagsvorbereitungen. Ich habe Termine während der Mittagspause geschoben, Telefonate zwischen Windel wechseln geführt, E‑Mails beantwortet, während ich zu Hause ankamen. Und ich spürte: Ich renne. Und zwar nicht zuletzt für eine Familie, die mir bedeutet, was mir nie jemand bedeuten konnte. Aber ich spürte auch: Ich verliere mich dabei. Ich bin nicht präsent. Nicht wirklich.

Früher dachte ich: Das ist nur eine Phase. Später würde Ruhe einkehren. Jetzt erkennt man: Solche Phasen sind nicht selten. Sie sind Flutwellen. Und Vatersein – gerade als Allein- oder Doppelverdiener – verführt zur Selbstvergessenheit. Weil da ein innerer Anspruch ist, der sagt: Wenn nicht ich, wer dann? Und er setzt mich in Bewegung wie ein starker Wind.

Manchmal erwache ich nachts und höre mich denken: „Warum gönn ich mir kein Wochenende frei?“ „Warum sitze ich nicht einfach mal mit ihm am Tisch?“ Ich höre mich sagen: „Ich muss noch dies erledigen, das vorbereiten, die Steuerklärung machen.“ Und dann denke ich: Wer sagt, dass ich das tun muss? Wer sagt, dass ich das alles tragen muss? Ich spüre, wie ich mich seinem Vaterbild verdinge – stark, verlässlich, leistungsfähig – und verliere mich dabei. Ich verliere das Gefühl für mich.

Es ging so weit, dass ich mich fühlte, als würde ich mich zwingen zu leben. Ich habe verloren, wofür ich arbeitete: Erinnerung, Nähe, Klarheit, Ich‑Sein. Ich hatte so viele Bestandteil meiner Rollen übernommen – Familienernährer, Problemlöser, Emotionsträger – dass ich vergessen habe, dass ich selbst auch Bedürfnisse habe: Nicht nur den Bauch vom Kind, sondern meinen eigenen Bauch, meine eigene Ruhe, meine eigene Pause, mein eigenes Lachen. Ich fragte mich: sehnt sich jemand nach dem echten Ich? Oder nach der Transportversion eines stabilen Versorgers, der alles fieldelt?

Eines Abends, während ich über Akten gebeugt saß, habe ich erkannt: Ich kann nicht alles geben, bis ich mich auflöse. Ich kann nicht der Vater sein, der für alle sorgt, wenn er sich selbst nicht mehr spürt. Ich habe aufgehört, mir selbst Zeit zu geben, weil ich dachte, es wäre egoistisch. Aber ich habe entdeckt: Es ist nicht egoistisch. Es ist notwendig. Weil ich mit einer leeren Batterie nichts füllen kann. Und Elternsein braucht auch Rückflächen, Pausen, ein Gerüst der Selbstfürsorge.

Deshalb habe ich angefangen, meine Prioritäten neu zu denken. Nicht mehr: erst alles für die Familie, dann ich. Sondern: ich und Familie – im Wechselspiel. Ich plane heute bewusst ein, mir Zeit in der Woche zu geben – für einen Spaziergang, ein kurzes Lauftraining, ein Buch. Nicht beim Sohn, sondern ohne strichhell oder Notizblock. Nicht viel, aber regelmäßig. Und wenn ich diese Zeit nehme, dann merke ich: Ich bin stärker zurück. Für sie. Aber auch für mich.

Ich habe gespürt, dass ich damit nicht schwach werde – sondern ganz anders stark. Mein Sohn braucht einen Vater, der stabil ist – nicht einen, der überlaufen ist. Und meine Partnerin braucht einen Partner, der spürbar atmet – nicht einen, der ausgebrannt wirkt. Ich habe gesagt: Ich entscheide mich jetzt anders. Ich entscheide mich dafür, an mich zu denken. Und das habe ich ihr gesagt. Und mir selbst. Und ich spüre: Es macht unsere Beziehung ehrlicher. Weil ich nicht plötzlich explodiere, sondern vorher merke: Uh – jetzt bin ich hungrig, müde, überfordert. Ich mache Pause.

Es hilft zu erkennen: Liebe darf nicht Selbstaufgabe sein. Vatersein darf nicht auch Selbstvergessenheit sein. Wenn ich mich erlaube, aufzugeben – nicht im Negativen, sondern im Schöpferischen – gönne ich mir einen Raum. Einen Raum der Regeneration. Einen Raum, in dem ich als Vater, Partner, Mensch wirken kann. Nicht als Maschinenmensch, sondern als fühlender Bruder im Alltag. Und dieser Raum ist wichtiger als Karriere, als materielle Sicherheit, als ständiges Funktionieren.

Ich habe auch gelernt, Grenze zu setzen. Ich habe gedacht: Wenn ich „Nein“ sage, ist das nicht für mich. Nein, ich sage: Wenn ich „Ja“ sage zu einem Abend allein gehen, oder zu einem freien Samstag, dann sage ich „Ja“ zu uns allen. Weil ich davon klarer zurückkomme. Weil unsere Qualität der Woche steigt. Weil ich nicht mehr leere Versprechen mache, sondern ich bin da – echt. Der Vater, der spürbar ist. Und genau das bleibt im Gedächtnis – bei Kind, bei Partnerin, bei mir selbst.

In Pausengesprächen mit anderen Vätern höre ich ähnliche Gedanken. Viele erzählen, sie hätten sich selbst im Lauf der Jahre verloren – bis das Kind erwachsen war und man sich fragte: Wer war ich überhaupt? Und ich höre, wie sie froh sind, dass sie sich wieder erinnern. Dass sie Raum schaffen – nicht für Egoismus – sondern für Stabilität. Und ich merke: Wir alle haben diesen inneren Vater-Burnout überspielt. Wir haben Arbeit, Verantwortung, Angst. Und wie gut, dass wir jetzt sagen: „Aber es geht auch anders.“

Manchmal erlaube ich mir, nach einem harten Tag nicht sofort in Elternmodus zu schalten. Manchmal sitze ich im Auto und spüre: Gleich hol ich ihn ab. Aber vorher atme ich durch. Ich höre Musik, die nichts mit Spielen zu tun hat. Und ich recherchiere keinen Termin in der Minute. Und ich merke: Wenn ich so ankomme, wenn ich so zurückkomme – dann ist es ein Türöffner. Für Nähe. Für echtes „Hallo, Papa ist wieder.“ Nicht „PANIC“, sondern „Hallo“. Von innen her.

Und Schritt für Schritt merke ich: Mein Leben als Vater darf reicher sein als Perfektion. Es darf Fehler, Pausen, Freiräume haben – und Lebendigkeit. Ich muss für uns nicht perfekt sein. Ich darf sein. Ich darf leben. Ich darf mich regenerieren – weil ich brauche das, damit ich da sein kann. Wirklich. Dann, wenn es zählt. In den Gute‑Nacht-Geschichten, im Lachen im Garten, beim gemeinsamen Zähneputzen. Und ich bin heute ein Vater, der versteht: Er darf nicht nur für seine Familie sorgen – er darf auch für sich sorgen. Und das ist das größte Geschenk, das ich mir und uns geben kann.